15. November 2017

Ist der moderne Mensch körperlich degeneriert?

Neulich erzählte ich jemandem von meinem Training beim Klettern. Zum ersten Mal bin ich einen sogenannten "Dynamo“ gesprungen. D.h. um den nächsten Klettergriff zu erreichen, musste ich mich abstoßen und mein gesamtes Körpergewicht mit einem Arm auffangen. Vor diesem Manöver hatte ich stets viel Respekt. Einerseits wegen der Handkraft und andererseits wegen der Schulterstabilität. Umso besser fühlte ich mich, als mir der "Dynamo“ problemlos gelang. „Ist denn das noch gesund?“, wurde ich gefragt. Gute Frage, dachte ich mir. Ist der moderne Mensch für solche Aktionen überhaupt noch geschaffen?

Im Folgenden werde ich meine Gedanken, mit Dir, lieber Leser, zu diesem Thema teilen.

Unser Becken und unsere Hüftgelenke sind auf Stabilität ausgelegt, denn wir gehen aufrecht. Unsere Schultergelenke und unser Schultergürtel dienen dagegen nur noch der Mobilität. Dem aufrechten Gang haben wir es zu verdanken, dass unsere Hände zu hochdifferenzierten Feinwerkzeugen wurden. Doch obwohl unsere genetisch engsten Verwandten, die Schimpansen (etwa 98,7 % unserer DNA stimmen überein), ihre Arme ebenso zur Fortbewegung benutzen und darum ja auch Stabilität erforderlich ist, unterscheiden wir uns, in der Anatomie des Schultergürtels kaum. Das ist interessant. Denn der aufrechte Gang ist schon sehr alt. Die ersten eindeutigen Hinweise sind immerhin 3,6 Millionen Jahre alt. Es sind fossile Fußabdrücke von Australopithecinen. Dennoch hat der moderne Mensch noch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit seinen urzeitlichen Vorfahren.

Jetzt stellt sich allerdings die Frage: Wie körperlich degeneriert ist der moderne Mensch bereits? Oder anders gefragt, lieber Leser: Ist über die Jahrmillionen mein Körper tatsächlich so verkümmert, dass ich beim Klettern, besser keinen "Dynamo“ mehr springen sollte?

Nun ja - der moderne Mensch bedeutet ja nicht der zivilisatorisch lebende Mensch. Ein noch ursprünglich lebender, afrikanischer Buschmann gleicht mir anatomisch quasi exakt. Er lebt nur anders. Für ihn gehört es zum gängigen Alltagsgeschäft, gelegentlich auf einen Baum zu klettern. Und genau darauf will ich hinaus! Die zivilisatorische Gesellschaft ist ausgelegt auf Bewegungsreduktion. Ein paar Klicks im Internet und wir müssen zum Einkaufen nicht mal mehr in den Supermarkt gehen und die Einkaufstaschen nach Hause tragen. Tja, und wir nennen das Komfort. Für mich ist das eine Einstellung, an der unsere Gesellschaft noch schwer kranken wird.

In dem Zusammenhang möchte ich noch auf ein Filmchen eingehen, welches ich neulich bei Facebook gesehen habe. Vielleicht kennst Du die Show "American Ninja Warrior". Inzwischen gibt es das Format auch in Deutschland zu sehen. Durchtrainierte Athleten aus allen Bereichen müssen verschiedenste Hindernisse überwinden um ein Ziel zu erreichen. Springen, Balancieren, Klettern in schwierigster Form. In dem erwähnten Filmchen hat ein außerordentlich fleißiger Vater seiner kleinen Tochter (3-4 Jahre) einen "Ninja-Warrior-Parkour" aus Holz und anderen Materialien nachgebaut. Total geil! Die Kleine hatte richtig Spaß. Doch nun zum entscheidenden Punkt. An einer Stelle war eine Seilbahn mit zwei Griffen, an denen sie sich festhalten musste, um zur nächsten Station zu fahren. Die Seilbahn hing recht hoch, so dass sie die Griffe nur mit einer Hand erreichen konnte. Also hing sie sich mal eben, ganz locker, an eine Hand und fuhr zur nächsten Station. Bei ihr sah das selbstverständlich und spielend leicht aus. Und das war es auch, denn in dem Alter können wir das alle noch! Ähnliches beobachte ich immer wieder beim Klettern in der Boulderhalle. Kinder klettern mit einer spielerischen Leichtigkeit und springen auch angstfrei aus 3 m Höhe auf die Weichbodenmatte.

Doch was bedeutet das für uns?

Innerhalb unseres Lebens verlernen wir Bewegung! Von Geburt an, kann auch der Zivilisationsmensch alles, was der Buschmensch kann. Doch nur wenn wir unsere angeborenen Möglichkeiten nutzen, bleiben sie erhalten!

Darf ich denn nun meinen "Dynamo“ springen?

Selbstverständlich! Doch nur nach intensiver Vorbereitung. Ich muss meinem Körper nur zeigen, was er von Natur aus kann. Noch vor einem halben Jahr, hätte meine Schulter dieser Belastung möglicherweise nicht standgehalten. Obwohl ich auch zu dem Zeitpunkt durchtrainiert war. Doch spezielle Belastungen brauchen spezielles Training. Und dann, lieber Leser, lautet die Antwort: JA, der moderne Mensch ist für solche Aktionen geschaffen !!!