Stehen, Gehen und Gleichgewicht

Hallo, lieber Leser. Schon einige Zeit gab es nichts von mir zu sehen. Doch war ich schreibfaul? Nein, tatsächlich nicht. Im Gegenteil. Denn im Frühjahr nächsten Jahres erscheint bei Copress Sport (Stiebner-Verlag) von mir ein Buch über mein neues Konzept für Faszientraining. In einem zukünftigen Blog-Artikel werde ich noch näher darauf eingehen.

Doch nun zu meinem eigentlichen Blog-Thema:

Gehen ist eine Aktivität. Na, selbstverständlich, wirst Du Dir denken, lieber Leser. Doch es ist möglich, mit minimaler Aktivität zu gehen. Auch Stehen mit minimaler Körperspannung ist möglich. Gehen und Stehen mit geringem Energieaufwand ist auch durchaus sinnvoll. Doch die Evolution hat nicht damit gerechnet, dass sich der Mensch, bedingt durch den sogenannten Fortschritt, irgendwann einmal kaum noch per pedes fortbewegen muss. Und schon hat der Mensch mal wieder ein hausgemachtes Problem.

 

Die Inspiration entstand aus einer Erfahrung mit einem Patienten. Ihn plagten Knieprobleme. Gelegentliche Schmerzen, doch im Vordergrund standen Bewegungseinschränkungen. Der Fersensitz war beispielsweise nicht möglich. Ansonsten war er schlank, grundsätzlich fit und gesund. Nur etwas steif fühlte er sich. Aber mit gerade mal 50 Jahren war er für bleibende körperliche Einschränkungen definitiv viel zu jung. Die Hauptursache war typisch: Schonung. Er war zwar recht aktiv. Doch wenn eine Bewegung nicht richtig funktionierte, ließ er, im guten Glauben es richtig zu machen, diese Bewegung einfach sein. In der Folge war immer weniger Bewegung möglich. Doch darüber hinaus, lieber Leser, zeigte sein Gangbild eine Besonderheit, die ich häufig beobachte.

Er ging breitbeinig und der Oberkörper war etwas nach vorne geneigt. Zudem bewegte sich im Gang der Oberkörper stets leicht zu der Seite des Standbeines. Ein bisschen wie ein Cowboy. Durch dieses Gangbild setzte er die Füße eher nebeneinander, anstatt sie voreinander zu setzen. Tatsächlich fiel er seitwärts von einem Schritt in den nächsten. Ich glaube, dass es durch diese Gang-Störung über die Jahre zu einer O-Bein-Stellung kommen kann. Leider sehe ich diesen Cowboy-Gang nicht selten, besonders bei Männern.


Doch wie kommt es zu diesem Gangbild?

Es ist bequemer. Nur wenig Körperspannung ist nötig. Auch weniger Gleichgewicht. Und so entwickelt sich dieses Gangbild mit den Jahren. Das Problem ist, es festigt sich. Mit der Zeit löst es das ursprüngliche Gangmuster ab. Und dann passiert, was in diesem Fall viel zu schnell passiert. Unser Körper passt sich an. Ja, eigentlich sind diese Anpassungsmechanismen fantastisch. Jede Leistungssteigerung ist nur so möglich. Doch leider funktioniert das auch in die Gegenrichtung. Das Gleichgewicht wird weniger gefordert. Und auch diese uns angeborene Fähigkeit kann verkümmern. Erhöhte Sturzgefahr bei Senioren liegt nicht nur am Alter. Das Gleichgewicht wird im Alter einfach oft vernachlässigt. Und so verschlechtern sich die Reaktionen und es kommt zu größerer Sturzneigung. Ich selber trainiere mein Gleichgewicht regelmäßig durch eine einfache Eigenkonstruktion in meinem Fitness-Keller.

Zudem entsteht durch den Cowboy-Gang im Kniegelenk ein permanenter Druck nach außen. Und selbst gesunde Kniegelenke geben meiner Meinung nach dem Druck mit den Jahren nach und entwickeln eine O-Bein-Position. Meinem Patienten empfahl ich das genaue Gegenteil seines bisherigen Gangmusters zu üben. Therapeutisches Gehen sozusagen. Und dieses Gegenteil ist tatsächlich dem Model-Gang vom Laufsteg sehr ähnlich. Er sollte die Füße voreinander setzen. Gerade so, als wolle er auf einer Linie laufen. Hinzu kam eine aufrechte, ja, fast stolz wirkende Körperhaltung. Und er sollte zügig gehen. Er versprach sich fortan daran zu halten und diesen Gang zu üben. Als wir uns nach mehreren Tagen sprachen, teilte er mir mit, dass die Knieschmerzen zur Zeit verschwunden waren. Er hatte auch das Gefühl, die Beweglichkeit hatte sich verbessert. Sicher bedarf es noch mehr Maßnahmen, um die Kniegelenke meines Patienten nachhaltig zu therapieren. Doch nur durch die Veränderung des Gangmusters zeigten sich definitiv schnelle Erfolge. Natürlich gibt es noch diverse weitere Gang-Auffälligkeiten. Tja, und meist geht es um Bequemlichkeit.


Leider bietet uns die zivilisatorische Umwelt optimale Bedingungen um inaktiv zu gehen. So gehen wir doch fast nur noch auf ebenem, glatten Untergrund. Unsere Füße, unsere Kniegelenke, ja, unser ganzer Körper muss kaum noch auf verschiedene Böden reagieren. Doch für ein waches und aktives Gangbild sind kleine Herausforderungen in unserer Fortbewegung sehr wichtig. Also bewege Dich beim nächsten Waldspaziergang nicht auf den befestigten Wegen, sondern erkunde die kleinen Trampelpfade. Da gibt es im übrigen eh viel mehr zu sehen.

Also, lieber Leser, alles kann verkümmern. Alles können wir verlernen. Sogar uralte selbstverständliche Bewegungsmuster. Drum gehe aufrecht und vor allem, gehe aktiv.


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